Die Genies der Deutschen

Vor der irdischen Unsterblichkeit standen die einfachen Menschen mit anderen Gefühlen ,als die wirklich Wissenden bisher gestanden hatten .Ihre Masse und das Aufkommen der Großmacht Presse ,die zu allen Zeiten von Halbbildung durchsetzt gewesen ist ,gaben den Ausschlag , daß sich das Bild des „Genies "wieder zurückentwickeln begann zu dem primitiven Bild der Vorzeit :dem „ Helden ".Ein Vorgang ,der eigentlich ganz verständlich ist ,denn die Masse als Geniebegreifer ist eben ein Widerspruch in sich.
In ihrem Staunen war von Anfang an Neid gewesen .Helden beneidet man.
Diesen schwärmerischen Schwung der Massen findet man an der gleichen Stelle der Entwicklung im Leben jedes Volkes .Er ist gänzlich unfruchtbar.
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Nach der Jahrhundertwende setzte die Vermassung ein.
Masse Mensch stand auf .Das Wort scheint hart ,aber es trifft leider zu.
Der Wahn von der Gleichheit und Brüderlichkeit wurde unter besonderen Schutz der Humanitas gestellt.
Der billigste „gesunde Menschenverstand"wurde heiliggesprochen,da Kultiviertheit und Wissen für die faule Menge nicht billig genug erreichbar waren.
Mit dem ganzen Instinkt eines gekränkten Haufens protestierte sie von nun an gegen den Ausreißversuch einzelner Menschen aus der Normung.Sie spürte sofort,daß hier ihre neueste heilige Überzeugung,daß alle Menschen gleich seien,in Gefahr geriet;daß sich hier jemand befreien wollte,daß er ausbrechen wollte aus dem Kollektiv.
Nichts kann die blinde Wut einer zur Herrschaft gelangten Masse mehr erregen!

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Genieverehrung setzt historisches Gefühl voraus.Die Masse aber lebt ganz in der Gegenwart.Die Vergangenheit sagt ihr wie einem egozentrischem Kinde nichts.Folglich wünschte sie den ganzen Komplex der Ruhmbildung in die Gegenwart verlegt.Mehr noch;Sie wünschte das Kontingent der Größe und Bedeutung selbst zu verteilen.Was für einen Sinn hatte für sie das Spielen eines Achtelloses ,wenn die Ziehung erst in 100 Jahren wär. Nein die Gewinnauszahlung mußte sofort erfolgen!
Seitdem lächeln uns von den Häuserwänden ,von den Filmflächen ,aus den Seiten der Illustrierten die kreidigen Gesichter der Stars an; Rudolf Valentino ist „unsterblich " ,Millionen weinen an seinem Sarkophag ;auf Tausenden von Fotografien ,sorgsam in jedes Dorf getragen ,entsteigt irgendein leeres Gesicht einem Luxusauto ,und die Unterschrift hämmert allen den Namen dieses Millionärssohn ein .Schriftsteller ,die das Plusquamperfekt nicht vom Imperfekt unterscheiden können ,aber eine neuartige ,kühne Auffassung von der Moral eines Deserteurs oder Straßenmädchens haben ,steigen zu schwindelnder Höhe auf . Das Wort „berühmt" ist in aller Munde .Das kleine ,neunjährige Mädchen ,das ein Lied von eigentümlicher Primitivität besonders allgemeingültig singen kann ,ist berühmt ;der Boxer ,der mit einem Schlag einen Ochsen umlegen kann ,ist berühmt ;die Halbwüchsige ,die sich bei einem Fest vordrängt ,um ihren originellen Appell an das Gute im Menschen loszuwerden ,wird berühmt ;die Stimme ,die im Radio allabendlich die gleichen Tanzschlager mit der gleichen schiefen Munterkeit ansagt ,ist berühmt ;und der Mann, der die Röcke der Damen zum erstenmal 30 Zentimeter länger schneidert ,ist berühmt.
Das sind sie ,die die Genies abgelöst haben ,die neuen Nothelfer der Masse ,die kein eigenes Minderwertigkeitsgefühl mehr aufkommen lassen.
Nichts wäre falscher ,als darüber zu lächeln .Natürlich ist das ein leichter Weg ,in den Ruf des Darüberstehenden zu kommen .Die tödliche Belehrung folgte bei allen Kulturen auf dem Fuße In einem Zeitalter, in dem Menschen und Stimmen nicht mehr gemessen ,sondern abgezählt werden, ist diese skurrile Ruhmverschiebung nicht damit abgetan, daß man über ihr steht. Jede Zeit hat letzlich nur eine Wahrheit. Die heutige ist diese!
Hier betätigt sich nicht eine „Sekte", dies ist" Staatsreligion ".
Daß Ruhm und Verehrung jetzt so haarscharf neben jedermann einschlagen, das macht, wie in der Lotterie, Mut! Und die Masse des 20.Jahrhunderts braucht Mut! Denn sie hat, seit sie die Puppe öffnete, nichts mehr, nichts, gar nichts.
Es ist Spätabend geworden.